Kennen Sie ihn, den Unterschied zwischen „scheinbar“ und „anscheinend“? Den gibt es nämlich wirklich, auch wenn viele ihn beim Sprechen gar nicht wahrnehmen oder gar für Haarspalterei halten.
„Er ist scheinbar krank“, sagen sie dann und unterstellen dem Betreffenden damit unbewusst, ein Simulant zu sein. Denn „scheinbar“ bedeutet: Es sieht nur so aus, entspricht aber nicht der Wirklichkeit. Also: „Die Spinne schwebte scheinbar in der Luft“ – den Faden, an dem sie hing, konnte man nur bei genauem Hinsehen erkennen. Oder: „Die Sonne versank scheinbar im Meer“ – was sie natürlich nicht wirklich tat.
„Anscheinend“ dagegen verwendet man, wenn man davon ausgeht, dass etwas tatsächlich so ist, wie es scheint: „Es hat anscheinend einen Unfall gegeben“ – der Verkehr stockt und Polizei, Feuerwehr und Rettungswagen sausen an einem vorbei. Oder: „Ihm ist anscheinend etwas dazwischengekommen“ – denn er erschien am Morgen nicht zur verabredeten Uhrzeit am Treffpunkt, und normalerweise kann man sich auf ihn verlassen.
Ein redegewandter Professor wies seine Studenten in seinen Vorlesungen immer wieder auf den Unterschied hin. Alle nickten dann eifrig – und verwendeten die beiden Wörter im Anschuss meist wieder falsch. Anscheinend hatten sie ihn nur scheinbar verstanden.